Irgendwie geht mir mein Erlebnis auf dem Sozialamt in Zürich nicht aus dem Kopf.
Ich lese: „Demütigung ist die den Selbstwert, die Würde und den Stolz angreifende, beschämende und verächtliche Behandlung eines Anderen. Eine demütigende Erfahrung oder die Erinnerung daran kann sich als negativer psychischer Stress auswirken und eine emotionale Reaktion auslösen.“ Ich denke, demütigen tut der, der selber sehr unsicher ist. Der Angst hat, er könnte von seinem Plan, der vor ihm liegt, abweichen. Dass ihm Fragen gestellt werden könnten, die zu beantworten ihn überfordern.
Vor gut einem Jahr hatte ich dieses Erlebnis, das mir immer wieder in Erinnerung kommt, auf dem Sozialamt in Zürich. Es ging dabei um eine Überbrückungshilfe für zwei evtl. drei Monate in der Höhe von je Fr. 1’500.–.
Ich musste bei einem Herrn XY antreten. Am Tag vorher bei der Anmeldung hat mir eine Dame eine Liste der erforderlichen Unterlagen gegeben und erklärt, was ich alles zur ersten Besprechung mitnehmen müsste. Ich hatte dann an diesem Nachmittag meine Buchhaltung in den Compi eingegeben und auf CD abgespeichert. Ich suchte auch die ganzen Versicherungsunterlagen zusammen, druckte meine Postcheck-Konten aus und nahm alles mit zur ersten Besprechung mit Herrn XY. Nun, er sagte sofort: „ICH sage Ihnen, was ich brauche.“ Auf meine schüchterne Frage, mir sei aber gesagt worden, ich müsste die Buchhaltung mitbringen sagte er, ich solle bitte ruhig sein, ER sei der, der hier spricht.
„Haben Sie Wertsachen, Vermögen, Bilder, Schmuck.“ „Klar“ sagte ich ihm, „darum bin ich ja hier.“ Er wolle eine genaue Aufstellung. Ich meinte, ich hätte ein Klavier, das mein Arbeitswerkzeug wäre. Und darauf: „Das sagen WIR, ob das ein Arbeitswerkzeug ist.“ Man stelle sich vor, dieses Amt hatte die Vorstellung, dass ich das Klavier verkaufen müsste, wenn es mehr als Fr. 2’000.– Wert hat. Und da es beim Kauf vor zwanzig Jahren über Fr. 15’000.– war, stelle ich mir vor, dass es doch noch einen höheren Wert als Fr. 2’000.– hat. Aber, das müsste also verkauft werden und ich könnte meinem Beruf nicht mehr nachgehen. Das beim Sozialamt.
Ein Sparbüchlein für meine Enkelin, das Fr. 1’500.– enthalten hat und auf das ich jeden Monat Fr. 50.– überweise, wäre sofort aufzulösen, ebenso der Dauerauftrag von Fr. 50.– und für eventuelle offene Rechnungen zu verwenden. Ich fragte den guten Herrn XY, ob er nicht den Ueberblick verloren hätte. Es ginge für eine Ueberbrückung von Fr. 1’500.– für zwei oder drei Monate . Darauf ist er überhaupt nicht eingegangen. Dann wollte er die ganzen Verwandten-Adressen, das heisst Eltern und Geschwister. Denn die würden Unterstützungspflichtig, wenn sie Geld hätten. Na ja, Geld haben sie, aber ich finde, ich will ja nicht von der Verwandtschaft unterstützt werden. Aber ich wollte doch wissen, wie das denn bei all den Ausländern wäre, die Sozialhilfe beantragen. Bei all den Tamilen, Afrikanern, Menschen aus dem Kosovo, Albanien etc. Ob die denn auch die Verwandtschaft angeben müssten. Da vernahm ich, dass das Sozialamt in all diesen Ländern Sozialdetektive hat, die Abklärungen treffen würden……. Für wie dumm hält mich dieser Herr….
Dann: Detaillierte Kontoauszüge der Postkonten, auf Papier ausgedruckt (die hätte ich hier. Wurde abgelehnt, er braucht die mit Abschlussdatum xy), Lohnabrechnungen der Tonhalle, wo ich Teilzeit als Billettkontrolleur arbeite, im Original auf sechs Monate zurück (die bewahre ich nicht auf, weil ich Ende Jahr den Lohnausweis bekomme. Originale für jeden Monat bei der Tonhalle verlangen), sämtliche Versicherungspolicen. Ich fragte ihn nochmals, ob er sich im Klaren sei, um was es gehe. Und er sagte, er wisse, was er mache. Und meine Bemerkung, das würde ich langsam in Frage stellen, hörte er nicht so gerne.
Selbstverständlich die Steuerrechnungen bis fünf Jahre zurück und natürlich im Original. Ich meinte, die könne er doch im Computer abfragen. Sie haben mir diese Rechnungen im Original zu bringen. Auf meine Frage, ob denn das alles wirklich kopiert werden müsste, ob das nicht ein Witz wäre, denn heute könnte man alles auf CD abspeichern erklärte er: „WIR wissen, was wir machen.“ Kopieren dürfe ich auf dem Sozialamt. Ich sagte nur, ich fände das etwas Hinterwäldlerisch.
Ich wurde während dieser ganzen Besprechung einfach traurig, deprimiert. Es war Hochsommer 2011. Ich trug helle Hosen, ein kurzärmliges Hemd, eine Jacke und den für mich als Sänger wichtigen Strohut. Anständig angezogen und gestunken habe ich auch nicht. Und gerade das haben mir Bekannte gesagt: „Du musst Dich dreckig, schmuddelig anziehen, Du musst stinken, Haare nicht waschen, nicht rasieren und vor allem nicht ehrlich sein. Du bist einfach ein viel zu ehrlicher Mensch.“ Aber so bin ich halt erzogen worden und bin es immer noch.
Doch wie gesagt: Ich war da nichts. Ich bin 60-jährig, habe ein intensives Leben gelebt. Kindheit, Banklehre, Gesangsausbildung in Deutschland, Heirat, Kinder, Scheidung, Enkelin, Kadermitglied auf einer Bank, Konzerte, Radioaufnahmen und CD-Aufnahme, Gesangslehrer, auch eine siebenjährige Alki-Karriere hinter mir. Ich hatte in all diesen Jahren nie irgendwelche soziale Hilfe beansprucht ausser einer kurzen Zeit beim Arbeitsamt. Doch da habe ich mich selber aus dem Ganzen herausgeholt. Warum ist auf einem Amt, das sich „sozial“ nennt, der Mensch ein Nichts? Ich habe viele Kämpfe gekämpft. Einige gewonnen, andere verloren. Aber nie, wirklich nie habe ich mir das Recht herausgenommen, über jemanden zu urteilen oder ihn zu demütigen.
Ich nehme an, die Mitarbeiter werden so geschult, dass für sie jeder SCHWEIZER, der vor ihnen sitzt, faul, ein Lügner, ein Verbrecher ist (denn ein Schweizer braucht keine Sozialhilfe). Sie haben gelernt, vor sich eine Mauer aufzubauen, keinerlei Gefühle zuzulassen. Da sitzt ein Mensch vor ihnen, der ihnen wahrscheinlich an Lebenserfahrung ziemlich voraus ist und sie haben den Mut, den einfach zu erniedrigen.
Ist es nicht möglich, eine Abteilung zu schaffen, die sich mit Fällen auseinandersetzt wie dem meinigen? Vielleicht etwas weniger bürokratisch. Es sagt jemand klar, er braucht für zwei Monate eine Ueberbrückungshilfe. Das Amt kann ja überall Referenzen einholen. Es kann sich erkundigen, ob die Steuern bezahlt sind. Es kann fragen, ob Betreibungen laufen, es kann beim Vermieter nachfragen (ich wohne seit bald dreissig Jahren am selben Ort in einer Wohnung der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich), ob ich immer zahle. Fälle wie mich, da bin ich überzeugt, gibt es viele, seien es kleine Ladenbesitzer, ein selbständiger Grafiker, freier Schauspieler, Sänger, Musiker, Kunstmaler, Schriftsteller. Aber es hat doch keiner von uns allen Lust, abgekanzelt, gedemütigt zu werden. Jeder geht seiner Arbeit nach und dann gibt’s halt einmal kritische Momente. Aber diese Beamten auf ihren Sozialamt-Stühlen kriegen jeden Monat ihr Salär, Ende Jahr den dreizehnten Monatslohn, vielleicht auch noch einen Bonus. Haben fünf Wochen Ferien und wenn sie krank sind, werden sie weiter bezahlt. Und wahrscheinlich kriegen sie noch Prämien für jeden Bezugsberechtigten, der schlussendlich KEINE Sozialhilfe bezieht. Gut, der Zentrumsleiter hat mir geschrieben, dass ich als Selbständigerwerbender kein Normalfall bin. Ja, darf denn ein Selbständigerwerbender nicht auf’s Sozialamt, hat er dazu keine Berechtigung? Ich bezahle auch Steuern und AHV.
Zurück zu Herrn XY: Wenn er im Besitz aller, wirklich aller verlangten Unterlagen wäre, kämen die zu einer Abteilung namens SEK. Die tagen alle drei Wochen und so würde das etwa Ende August, bis das Sozialamt erfahre, ob ich unterstützungsberechtigt sei. Wenn ja, würde es vermutlich Mitte September, bis ich das Geld bekäme. Ich sagte ihm, Mitte September seien meine finanziellen Probleme vorbei, dann brauchte ich das Geld nicht mehr. Und er meinte, das wäre mein Problem. Nun, ich habe dann auf einen Antrag und eine Anmeldung verzichtet und bin mir jetzt im Klaren: Nie werde ich nochmals auf dieses Sozialamt gehen. Ich hatte mich überwunden, wegen meiner Probleme dorthin zu gehen und werde kaputt gemacht durch die Art und Weise eines Mitarbeiters, dann muss ich sagen: Einmal aber nie mehr. Dazu bin ich zuwenig masochistisch veranlagt.
Das alles ist mir wieder hochgekommen, als ich den Artikel „Wenn Arme keine Sozialhilfe beziehen“ bei SRF las (Artikel leider bei SRF nicht mehr vorhanden. Musste vielleicht gelöscht werden, wie ich auch verschiedene Namen löschen musste.) Als ich las, dass 60% der Bezugsberechtigten keine Sozialhilfe beziehen. Ist das nicht klar, wenn man meine Zeilen liest?
Heute, am 29.4.2014 auf SRF gelesen und festgestellt, so daneben liegt mein Eintrag nicht: Der Zürcher Verwaltung ohnmächtig ausgeliefert!!
Ergänzung am 1. Juli 2014: Caritas stellt das „Neue Handbuch Armut in der Schweiz“ von Claudia Schuwey und Carlo Knöpfel in Bern vor. Ich binde den Artikel hier ein: Über eine Million Schweizer leben in Armut!
PS am 14.10.2014: Auf Wunsch habe ich die Namen von drei Verantwortlichen entfernt. Es ist wichtig, dass sie anonym bleiben, denn nur so kann man mit Sozialhilfeempfängern umspringen, wie es gemacht wird! (Erstaunlich, dass eine Reaktion erst heute, nach praktisch zwei Jahren, kommt)
Ich bin eben von einem Termin beim Coach zurück. Coaching wird das genannt, was mir helfen soll, eine Anstellung zu finden. Seit Anfang Jahr sind das Arbeitsintegrationszentrum und bei diesem der Coach dem Sozialamt unterstellt, in meinem Wohnkanton. Spielt keine Rolle, welcher das ist. Heute hat er mich auflaufen lassen. Nachdem ich mich darüber informiert hatte, wieviel eine Weiterbildung kostet, es geht um SVEB 1, meinte er, das Amt übernehme die Finanzierung, wenn ich den Nachweis erbringe, daß ich bei einem Sprachlehrinstitut eventuell eine Anstellung finden könnte.
So wird man auf den Arm genommen. Ich müßte mich bei Verhandlungen also lächerlich machen, um letztlich nichts Festes in der Hand zu haben. Nachweis von was, wie stellt der sich das vor? Erklärt hat er es mir nicht.
Sie sind alle so drauf in dieser Sozialhilfeindustrie. Industrie, weil sie wirklich fleißig sind in ihrem Tun, industria heißt auf Lateinisch und Italienisch ja nichts anderes als Fleiß. Sozialwissenschafter schäumen den verlogenen Quatsch noch weiter auf; seit sie mitwirken, gibt es das grausige Gefälle vom Staat auf den Bürger hinab. Wissenschafter, Akademiker, müssen sich eigentlich immer aufspielen, weil ihnen Dienen fremd ist. Dabei könnte man es sich beim öffentlichen Dienst, hier bei der Sozialhilfe, viel leichter machen, denn das Gesetz, ich betrachte die kantonalen Sozialhilfegesetze jetzt ein Mal als eines, sagt klipp und klar, um wen es geht und was im Vordergrund steht. Es geht um Menschen in einer Notlage und ihrer Selbsthilfe hat sich alles unterzuordnen. Doch genau diese Subsidiarität kennt man, zumindest in meinem Kanton, nicht.
Juristen nehmen fürs Sozialamt frech ein Wahlrecht heraus zwischen unselbständig und selbständig. Ich wurde vom Rechtssubjekt zu einem Objekt gedemütigt, man stellt sich mir in den Weg zu einem zinslosen Darlehen. Mein Vorhaben, von dem man nur eine knappe Beschreibung haben wollte, keinen ausgewachsenen Geschäftsplan, wurde nicht ein Mal grob durchgerechnet. Wie auch, ohne Zahlen von mir! Es hieß einfach Nein. Wer das gesagt hat, wird mir auch nicht eröffnet.
Wer legt schon sein Projekt für Selbständigkeit Unbekannten vor? Bei der Sozialhilfe scheint es so gehen zu können. Die Willkür ist ganz übel.
Es ist traurig, diese Erfahrungen machen zu müssen. Mir hat es in dem Sinn geholfen, dass ich mir sagte: Ich will mit Sozialämtern nichts mehr zu tun haben. Denn Hilfe kann man nicht erwarten. Und schockierend sind einfach die MitarbeiterInnen auf dem hohen Ross. Man ist hilflos.
Ich wünsche Dir viel Kraft, Mut und Energie, Deine Sache durchzubringen. Ich hatte immer wieder das Glück, mir gutwollende Menschen zu begegnen. Und darum kann ich nur sagen: Augen und Ohren offen halten und wichtig scheint mir, mit all Deinen Freunden und Bekannten über Deine Sache zu sprechen. Nichts zu erheimlichen versuchen, denn dann öffnen sich unerwartete Türen. Das sind meine Erfahrungen.
Viel Glück wünscht Dir Papageno
Hallo, Papageno, ich bin’s wieder, leider mit der Nachricht, daß es im nächsten Kanton, ich bin Anfang Juli 2018 umgezogen, nicht besser ist. Auch hier stellen die Behörden und einzelne Sozialtäter sich quer, wenn ich das Thema Selbständigkeit anschneide. Das Positive an meiner Geschichte ist, daß ich lerne, mich besser zu wehren. Die alles überspannende Erkenntnis ist: Es darf nirgends auch nicht der kleinste Einriß passieren, sonst fliegt der ganze Zirkus auseinander. Wenn nur ein Sozialfall ein Mal im Wesentlichen Recht erhält, macht er das öffentlich bekannt und dann kann das Blatt sich wenden. Tatsache ist, daß die Sozialhilfebehörde meiner Wohngemeinde das kantonale Sozialhilfegesetz kaum kennt. Dafür hat man juristische Mitarbeiter. Doch auch die fassen das Ganze kreuzfalsch auf. Ohne in Einzelheiten zu gehen, verbleibe ich mit kämpferischen Grüßen. Die sollen sich an mir die Finger zerschneiden!
Lieber Simon, da wünsche ich Dir auf jeden Fall viel Kraft und Energie. Und ja: kämpfe!! Ich bin jetzt seit vier Monaten in meiner neuen Heimat Portugal und spüre: Es war die richtige Entscheidung. Mit herzlichen Portugal-Grüssen und alles Gute Urs der Papageno