Wenn ein Orchester spielt, müssen die Instrumente auf den gleichen Ton eingestimmt sein. Und das passiert mit dem Kammerton „A“.
Nun ist aber ein Kammerton „A“ nicht einfach ein „A“. Sondern je nach Land, sogar je nach Orchester, wird der Ton „A“ auf eine höhere oder tiefere Frequenz eingestimmt, wodurch der Ton höher oder tiefer wird. Der normale Kammerton „A“ ist auf die Frequenz 440hz eingestimmt.
Jetzt gibt es aber Orchester, die den Kammerton „A“ erhöhen, um einen brillanteren Ton zu erreichen. Denn je höher die Frequenz, um so strahlender klingen die Instrumente. Herbert von Karajan hat mit seinen Orchestern auf 445hz stimmen lassen. Bei historischen Instrumenten wird oft auf 415hz gestimmt.
Nun, für Instrumentalisten hat ein höheres oder tieferes „A“ keinen Einfluss. Sie können ihre Instrumente stimmen. Das Problem haben die Sänger. Wir haben zwei Stimmmuskeln, an denen wir nicht einfach drehen können, um etwas höher singen zu können. Irgendwo haben auch Stimmbänder ihre Grenzen. Wird der Kammerton „A“ höher gesetzt, kann das für einen Tenor z.B. heissen, dass sein „B“ oder „H“ (mit dem er möglicherweise ohnehin schon zu kämpfen hat) plötzlich zu einem hohen C wird. Und wie soll er denn schlussendlich ein effektives hohes C schmettern, wenn das plötzlich ein Cis oder eventuell sogar ein D wird. Ein ganzer Ton, aber schon ein halber kann für einen Sänger eine Weltreise bedeuten. Die Tessitura kann sich nach oben verschieben und die Lage wird für einen Sänger unangenehmer. Die Tessitura ist die Lage, in der ich als Sänger am meisten zu singen habe. Das sollte vor allem in einer angenehmen Mittellage sein. Und sobald sich die Tessitura wegen einer anderen Stimmung verändert, sich die Mittellage nach oben verschiebt, kann das für den Sänger unangenehm werden, weil er dann dauernd in einer höheren Lage singen muss.
Und wenn ich als Sänger eine Oper, ein Oratorium, Lieder auf meinem Klavier, das auf 441hz gestimmt ist, mit meiner Begleiterin einstudiert habe, und beim Konzert muss ich mich mit 443 oder 445hz herumschlagen, kann das für ein zweistündiges Konzert sehr anstrengend werden. Die Muskulatur hat sich an die 441hz gewöhnt und plötzlich muss sie mit einer anderen Spannung arbeiten.
Ich kann mir vorstellen, dass auch darum viele SängerInnen zum Barock flüchten. Zum einen ist hier die Stimmung tiefer, für den Sänger also angenehmer, aber auch die historischen Instrumente klingen nicht so laut wie die heutigen. Denn die alten Darmsaiten haben nicht einen dermassen lauten Klang erzeugt wie die gebräuchlichen Stahlsaiten. Wobei ich auch das tiefer singen müssen (obwohl ich ein Bass bin) nicht so geschätzt habe. Denn es geht eine gewisse Körper- und Stimmbandspannung verloren, die einen kraftvollen, brillanten Ton nicht zulässt. Ich habe nie gerne mit Originaltoninstrumenten bzw. Aufführungen mit historischer Aufführungspraxis gesungen. Zum einen liebe ich es, wenn Stimmen und Instrumente ein Vibrato haben und andererseits tönen diese Instrumente für meine Ohren immer ein wenig falsch.
Zwei Bemerkungen von Künstlern zum erhöhten Kammerton: Richard Strauss meinte 1942 zur gestiegenen Höhe des Kammertons: „Die hohe Stimmung unserer Orchester wird immer unerträglicher. Es ist doch unmöglich, dass eine arme Sängerin A-Dur-Koloraturen, die ich Esel schon an der äußersten Höhengrenze geschrieben habe, in H-Dur herausquetschen soll …“
Und die Sopranistin Waltraud Meier setzt sich für eine Reduktion des Kammertons ein: „Die Orchester sollten umdenken und, statt ausschließlich auf die eigene Brillanz zu achten, auch auf die Möglichkeiten der Sänger Rücksicht nehmen und in der Stimmung ein paar Hertz hinuntergehen.“
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